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Im Ersten Weltkrieg errangen die Kryptoanalytiker eine ganze
Reihe von Siegen, deren größter die Entzifferung der Zimmermann-Depesche
war. Seit es ihnen im 19. Jahrhundert gelungen war, die
Vigénere-Verschlüsselung zu knacken, hatten die Codebrecher die Oberhand
über die Codierer. In den Nachkriegsjahren gab es eine gemeinsame
Anstrengung, neue, sichere Verschlüsselungsverfahren zu entwickeln. Um eine
sichere Verschlüsselung zu gewährleisten, wandten sich die Kryptographen den
Möglichkeiten der Technik zu. Papier und Bleistift waren nun nicht mehr die
einzigen Hilfsmittel, die Aufmerksamkeit galt zunehmend der Mechanisierung
der Geheimhaltung.
Das erste, noch sehr einfache kryptographische Gerät ist die
Chiffrierscheibe. Ihr Erfinder ist der italienische Architekt
Leon Alberti, im 15.
Jahrhundert einer der Väter der polyalphabetischen Verschlüsselung. Er nahm
zwei Kupferscheiben, eine davon etwas größer als die andere, und prägte das
Alphabet entlang der Ränder beider Scheiben ein. Dann legte er die kleinere
Scheibe auf die größere und setzte als Achse eine Nadel in die Mitte ein.
Das Ergebnis war eine Chiffrierscheibe, ähnlich wie die in Abbildung unten
gezeigte. Die beiden Scheiben lassen sich unabhängig voneinander drehen, so
dass die beiden Alphabete in jede beliebige Stellung gegeneinander gebracht
werden können. So kann man eine Nachricht mittels einer simplen
Caesar-Verschiebung chiffrieren. Um zum Beispiel eine Nachricht mit einer
Caesar-Verschiebung von einer Stelle zu verschlüsseln, dreht man das äußere
A über das innere B - die äußere Scheibe enthält das Klaralphabet, die
innere das Geheimtextalphabet. Jeder Buchstabe der Klarbotschaft hat ein
Gegenüber auf der inneren Scheibe, und so kann schrittweise der Geheimtext
erstellt werden. Für eine Botschaft mit einer Caesar-Verschiebung von fünf
Stellen müssen die Scheiben nur so weit gedreht werden, dass das äußere A
dem inneren F gegenüber liegt, dann können die Chiffrierscheiben mit dieser
neuen Einstellung benutzt werden. Die Chiffrierscheibe ist zwar ein
schlichtes Utensil, doch sie erleichtert die Verschlüsselung und hat sich
immerhin fünf Jahrhunderte lang gehalten. Die in Abbildung unten gezeigte
Variante wurde im amerikanischen Bürgerkrieg eingesetzt.
Die Chiffrierscheibe kann als eine Art »Verzerrer« betrachtet werden, die
jeden Klarbuchstaben in etwas anderes verwandelt. Die bisher beschriebene
Funktionsweise ist schlicht und die erzeugte Geheimschrift ist relativ
leicht zu knacken. Doch die Chiffrierscheibe kann auch in einem
komplizierteren Verfahren eingesetzt werden. Schon ihr Erfinder Alberti
schlug vor, die Einstellungen während der Verschlüsselung der Nachricht zu
ändern. Dann bekommt man keine monoalphabetische, sondern eine echte
polyalphabetische Verschlüsselung. Stellen wir uns vor, Alberti benutzte
seine Scheibe, um mit dem Schlüsselwort LEON die Botschaft ciao bella zu
chiffrieren. Er stellte zunächst die Chiffrierscheibe auf den ersten
Buchstaben des Schlüsselworts ein, indem er das äußere A auf das innere L
drehte. Den ersten Buchstaben des Klarwortes, c, verschlüsselte er dann,
indem er den gegenüberliegenden Buchstaben auf der inneren Scheibe, nämlich
N, aufschrieb. Um den zweiten Buchstaben der Botschaft zu verschlüsseln,
stellte er die Scheibe gemäß dem zweiten Buchstaben des Schlüsselworts ein,
und zwar, indem er das äußere A über das innere E drehte. Dann
verschlüsselte er das i, indem er den entsprechenden Buchstaben auf der
inneren Scheibe, also M, notierte. Die Verschlüsselung mit der
Chiffrierscheibe ging auf diese Weise mit den Schlüsselbuchstaben O und N
fort, dann fing sie wieder bei L an und so weiter. Alberti hatte schließlich
eine Nachricht Vigenere-verschlüsselt und dabei seinen Vornamen als
Schlüsselwort benutzt. Die Chiffrierscheibe beschleunigt die Arbeit und ist
weniger fehlerträchtig als die Verschlüsselung mit dem Vigenere-Quadrat.
Das Entscheidende an dem eben beschriebenen Gebrauch der Chiffrierscheibe
ist, dass das Geheimtextalphabet während der Verschlüsselung gewechselt
wird. Diese zusätzliche Komplikation führt zwar dazu, dass die gesamte
Verschlüsselung schwerer zu knacken ist, doch ist sie nicht unschlagbar,
weil wir es nur mit einer mechanisierten Spielart der
Vigenere-Verschlüsselung zu tun haben, die ja von Babbage und Kasiski gelöst
wurde. 500 Jahre nach Alberti jedoch brachte die Renaissance der inzwischen
weiterentwickelten Chiffrierscheibe eine neue, mächtige Generation von
Verschlüsselungsverfahren auf die Bühne, die schwerer zu brechen waren als
alle bisherigen Systeme.
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Scherbius' Enigma enthält eine Reihe raffiniert
ausgetüftelter Elemente, die er zu einer beeindruckend komplizierten
Verschlüsselungsmaschine zusammenbaute. Wenn wir die Maschine jedoch wieder
in ihre Bestandteile zerlegen, können wir nachvollziehen, wie sie arbeitet.
Sie besteht in ihrer Grundausführung aus drei Hauptelementen, die
miteinander verdrahtet sind: einer Tastatur für die Eingabe der
Klartextbuchstaben, einer Verschlüsselungseinheit, die jeden Klarbuchstaben
in einen Geheimtextbuchstaben verwandelt, und einem Lampenfeld, das die
Geheimbuchstaben anzeigt. Abbildung unten zeigt einen vereinfachten Bauplan
einer solchen Maschine für ein Alphabet von sechs Buchstaben. Um eine
Klarbotschaft zu verschlüsseln, tippt der Chiffreur den jeweiligen
Klarbuchstaben in die Tastatur, die ein elektrisches Signal durch die
zentrale Verschlüsselungseinheit bis auf die andere Seite schickt, wo der
Strom die Lampe für den entsprechenden Geheimbuchstaben aufleuchten lässt.

Eine vereinfachte Version der
Chiffriermaschine Enigma mit einem aus nur
sechs Buchstaben bestehenden Alphabet. Der wichtigste Teil der Maschine ist
die Schlüsselwalze. Wird auf der Tastatur der Buchstabe b eingegeben, fließt
elektrischer Strom in die Walze, er durchläuft die innen liegenden Drähte
und tritt auf der anderen Seite aus, wo er die Lampe A aufleuchten lässt.
Das heißt, b wird mit A verschlüsselt. Der Kasten rechts zeigt, wie jeder
Buchstabe verschlüsselt wird.
Der wichtigste Teil der Maschine ist die Walze (auch Rotor
genannt), eine dicke Gummischeibe, die von Drähten durchzogen ist. Von der
Tastatur ausgehend, führen die Drähte an sechs Punkten in die Walze hinein,
in deren Innern sie kreuz und quer verlaufen, bis sie schließlich an sechs
Punkten auf der anderen Seite austreten. Die Verdrahtung im Innern der Walze
bestimmt, wie die Klarbuchstaben verschlüsselt werden. Die Verdrahtung aus
Abbildung oben legt zum Beispiel fest, dass:
-
durch die Eingabe von a der Buchstabe B aufleuchtet, also
wird a mit B verschlüsselt;
-
durch die Eingabe von b der Buchstabe A aufleuchtet, also
wird b mit A verschlüsselt;
-
durch die Eingabe von c der Buchstabe D aufleuchtet, also
wird c mit D verschlüsselt;
-
durch die Eingabe von d der Buchstabe F aufleuchtet, also
wird d mit F verschlüsselt;
-
durch die Eingabe von e der Buchstabe E aufleuchtet, also
wird e mit E verschlüsselt;
-
durch die Eingabe von f der Buchstabe C aufleuchtet, also
wird f mit C verschlüsselt.
Die Botschaft CAFE würde daher als DBCE verschlüsselt. In
dieser Grundanordnung legt die Chiffrierwalze ein Geheimtextalphabet fest,
und mit der Maschine ließe sich eine einfache monoalphabetische
Verschlüsselung erzeugen.
Allerdings hatte Scherbius die Idee, die Walze jedes mal, wenn ein Buchstabe
verschlüsselt war, weiterzudrehen, und zwar um ein Sechstel ihres Umlaufs
(also um ein Sechsundzwanzigstel ihres Umlaufs bei einem vollständigen
Alphabet von 26 Buchstaben). Abbildung 26(a) zeigt die gleiche Anordnung wie
Abbildung oben; wiederum wird durch die Eingabe des Buchstaben b das
Lämpchen für A aufleuchten. Diesmal jedoch wird sich unmittelbar nach der
Eingabe des Klarbuchstabens und dem Aufleuchten des Geheimbuchstabens die
Schlüsselwalze um ein Sechstel ihres Umlaufs gegenüber der in Abbildung
26(b) gezeigten Position weiterdrehen. Wird jetzt noch einmal b eingegeben,
dann leuchtet ein anderer Buchstabe auf, nämlich C. Sofort darauf dreht sich
die Walze erneut, bis zu der in Abbildung 26(c) gezeigten Position. Diesmal
leuchtet bei der Eingabe von b der Buchstabe E auf. Wird sechsmal in Folge b
eingetippt, erhält man den Geheimtext ACEBDC. Mit anderen Worten, das
Geheimtextalphabet ändert sich nach jeder Verschlüsselung, und entsprechend
wird der Buchstabe b jedes mal anders verschlüsselt. Die Maschine, die mit
dieser rotierenden Walze ausgestattet ist, bietet sechs Geheimtextalphabete
und ist daher für eine polyalphabetische Verschlüsselung geeignet.
Die rotierende Walze ist das wichtigste Element des Grundmodells von
Scherbius. Bislang hat die Maschine jedoch einen offensichtlichen
Schwachpunkt. Wenn b sechsmal eingetippt wurde, kehrt die Walze in ihre
ursprüngliche Position zurück, und wenn weiter b eingegeben wird, wiederholt
sich das Verschlüsselungsmuster. Kryptographen sind meist erpicht darauf,
Wiederholungen zu vermeiden, weil sie Regelmäßigkeit und Ordnung in den
Geheimtext bringen, und dies sind Anzeichen einer schwachen Verschlüsselung.
Das Problem kann gelindert werden, wenn man eine zweite Schlüsselwalze
einführt. eine vollständige Umdrehung hinter sich hat. Die erste Walze ist
mit einem Federzapfen ausgestattet, und erst wenn dieser einen bestimmten
Punkt erreicht, schiebt er die zweite Walze um eine Stelle weiter.
In Abbildung 27(a) ist die erste Walze in einer Position, bei der sie kurz
davor steht, die zweite Walze weiter zu schieben. Wenn ein weiterer
Buchstabe eingetippt und verschlüsselt ist, bewegt sich der Mechanismus, bis
die Einstellung von Abbildung 27(b) erreicht ist, wo die erste Walze sich um
eine Stelle gedreht hat und auch die zweite Walze um eine Stelle
weitergeschubst hat. Nach Eingabe und Verschlüsselung eines weiteren
Buchstabens bewegt sich die erste Walze wiederum eine Stelle weiter,
Abbildung 27(c), doch diesmal hat sich die zweite Walze nicht bewegt. Sie
wird sich erst wieder drehen, wenn die erste eine Umdrehung abgeschlossen
hat, und dazu sind noch weitere fünf Verschlüsselungen nötig. Dieser Aufbau
ähnelt dem eines Kilometerzählers - die Walze, welche die einzelnen
Kilometer anzeigt, dreht sich ziemlich schnell, und wenn sie

jedesmal, wenn auf der Tastatur ein
Buchstabe eingegeben und verschlüsselt wurde, dreht sich die Walze um eine
Position weiter und ändert damit das Verschlüsselungsalphabet für den
nächsten Buchstaben. In (a) verschlüsselt die Walze den Buchstaben b als A,
doch in (b) wird dieser Buchstabe aufgrund der neuen Walzenposition als C
verschlüsselt. In (c), nach einer weiteren Drehung um eine Stelle,
verschlüsselt die Walze b mit E. Nach der Verschlüsselung von vier weiteren
Buchstaben und der Drehung um vier weitere Stellen kehrt die Walze in ihre
Ausgangsposition zurück
Abbildung unten zeigt den Plan einer Chiffriermaschine mit
zwei Schlüsselwalzen. Wegen der Schwierigkeit, eine dreidimensionale Walze
mit dreidimensionaler Innenverdrahtung zu zeigen, ist nur eine
zweidimensionale Skizze abgebildet. jedes mal, wenn ein Buchstabe
verschlüsselt wird, dreht sich die erste Walze um eine Stelle. Auf das
zweidimensionale Schema übertragen, heißt dies, jede Verdrahtung rückt um
eine Stelle nach unten. Dagegen bleibt die zweite Walze die meiste Zeit über
in der gleichen Position. Sie dreht sich erst, wenn die erste Walze


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